Die Gefahr fehlender Bewertungskriterien

von Dr. Kornelius Kraus

Zu einer zukunftstauglichen Architektur gehören Produkte und Dienstleistungen dazu wie die Luft zu atmen. Allerdings unterscheiden sich die Bewertungsmaßstäbe für Produkte und Dienstleistungen, denn wir benötigen eine Marktwirtschaft, die den Menschen, der Natur und der Gesellschaft dient. Eine Marktwirtschaft, die diese Ziele vereint, bezeichne ich als regenerative Marktwirtschaft. Sie könnte die „antifragile“ Antwort für eine lebenswerte Zukunft sein. Allerdings werden hierfür neue Bewertungsmaßstäbe benötigt. Diese stelle ich am Ende des Beitrags vor. 

In dem Beitrag führe ich den Leser über die Fragilität unserer gesellschaftlichen Lebensführung zum inflationsbeschleunigtem Wertevakuum. Diese fragmentierte Analyse liefert die Grundlage für das Bewertungssystem „Impact Product Model for Regeneration & Prevention“. Dieses Modell gibt Orientierung, schärft unsere Sinne, erhöht die Transparenz und es dient allen: dem Einzelnen, der Natur und der Gesellschaft.

Zunächst müssen wir allerdings die Frage klären, was Antifragilität ist. 

Ein Glasgefäß ist ein zerbrechlicher (fragiler) Gegenstand, während ein Metallgefäß deutlich robuster gegenüber äußeren Einflüssen ist. Ein antifragiler Gegenstand hingegen wird stärker, wenn beispielsweise der Druck steigt. 

Antifragilität ist in der DNA der Natur enthalten. Dieses Phänomen nutzen Obstbauern, indem sie Pflanzen im Frühjahr schneiden und damit gesteigertes Wachstum erzeugen. Ebenso enthält unser Nervensystem die Fähigkeit zur Antifragilität. Der Begriff der „Antifragilität“ wurde von dem Mathematiker, Risikoforscher und Optionsspezialist Nassim Taleb definiert. 

Unsere Lebensführung macht uns fragil!
Unser Umgang mit dem Wasser, unsere kalorienorientierte Nahrungsmittelproduktion, elektrische Stromproduktion, die industrielle Güterproduktion und der Warentransport sowie Architektur, Mobilität, Wissensproduktion und der Medienkonsum machen uns anfällig und fragil. Dies zeigen die Analysen vieler Wissenschaftler. In dem Buch „Big. Formgiving. An Architectural Future History“ des Autorenteams um den dänischen Architekten Bjarke Ingels sind viele Analyse visuell aufbereitet (bitte nicht unreflektiert als wahr annehmen, sondern sich fragen, was für ein vollständigeres Bild fehlt). 

Wenn wir Ingels Beobachtungen zusammenfassen, kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass unsere derzeitige Lebensführung uns mehr schädigt als fördert und eine Veränderung angebracht sei. Diese Ansicht teile ich.

Die Veränderung wird immer von Menschen getragen. Insbesondere Unternehmer können die Metamorphose von der kapitalistisch und sozial geleiteten Wirtschaftsform des letzten Jahrhunderts auf ein neues Level heben. Damit haben wir die großartige Gelegenheit, den derzeitigen Schiefstand zum Wohlstand zu begleiten. Hierfür scheint ein Update für unser Geld-, Wirtschafts- und Gesundheitssystem sinnvoll. Die gute Nachricht ist: es steht bereits im Startblock!

Der Bewusstseinswandel der Aufklärung führte zur Trennung von Staat und Kirche, welche mit einer Veränderung des Weltbilds einherging und seither als „Kopernikanische Wende“ bezeichnet wird. Heute scheinen die Tage der „Geldschöpfungsmonopole“ der Staaten unter Druck zu geraten. Nach den historischen Analysen zu den Kreditzyklen des einflussreichen Hedgefondmanagers und Gründer von Bridgewater & Associates Ray Dalio befinden wir uns in der Endphase des 100-jährigen Kreditzyklus. Damit steht die Gefahr einer möglichen Hyperinflation im Raum, welche die Notenbanken mit ihren Mitteln verhindern wollen.

Die Geldströme versorgen das Finanz- und Wirtschaftssystem mit Energie! Sie sind das Insulin des Handels. 

Sollte die Schuldenblase platzen, rettet die Regierung in der Regel sich selbst und andere, indem sie Vermögenswerte aufkauft und/oder Fiatgeld erzeugt und es entwertet (Inflation erzeugt). Je größer die Schuldenkrise ist, desto mehr trifft dies zu. Dieses Verhalten ist zwar langfristig nicht sinnvoll, aber aus systemdynamischer Sicht verständlich, da es den bequemen Weg des „Weiter so“ vorerst ermöglicht.  

Die Falle hierbei ist, dass ohne Systeminnovation dieser Prozess nicht unendlich wiederholt werden kann ohne dass eine Hyperinflation entsteht. 

Was aber, wenn aus dem too Big to Fail seit der Lehman Brothers Insolvenz ein too Big to Bail wird? Diesem Systemmangel sind sich einige bewusst und konzeptionelle Innovationen wie „Regenerative Capitalism“ von Fullerton, die Blockchain-Technologie oder Solar-Wasserstoffhybride sind Botschafter für eine regenerative Zeitenwende.

Die Entstehung eines Krypto-Währungsökosystems deute ich als Vorbote für die Trennung von Geld und Staat. Bitcoin ist auf dem Papier das erfolgreichste Finanzprodukt der Geschichte, da es eine asymmetrische Rendite integriert. Aber der Erfolg der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Faktor für die Zukunft (Tulpenblase). Man könnte den Erfolg von Bitcoin auch als Hyperinflationsvorbote und als Vertrauensverlust in die Fiat-Währungen deuten. Die Zukunft der Geldströme wird es uns offenbaren. 

Entscheidend für eine bessere Zukunft ist allerdings, welche Art von Geschäften die Menschen miteinander machen und wie viele Gewinner dieses System erzeugt. In diesem Zusammenhang erscheint der Ansatz des regenerativen Kapitalismus relevant. Denn er bringt neue Werte in die Wertschöpfungskette mit ein und stellt eine Geschäftspraxis ins Zentrum, die die Natur schützt bzw. wiederherstellt. Sicherlich ist hier noch vieles zu optimieren, aber die Richtung ist deutlich zu erkennen. Welche Richtung wir einschlagen, wird maßgeblich von unseren Werten abhängen. 

Die massive Geldentwertung deute ich als Botschafter unseres Wertevakuums.
Die geldorientierte Haltung des Alltags zeigt sich in der Überbewertung des Kaufpreises bei Kaufentscheidungen. Anstatt nach Kriterien wie Haltbarkeit, Wertschöpfungspotenzial oder Potenzialerhalt zu entscheiden, wird der Preis oder eine Statuserhöhung als Vergleichsparameter eingesetzt. Diese Praxis findet leider noch immer sehr viele Nachahmer. Selbst unser Staat vergibt Bauaufträge nach dem Prinzip des Billigsten. 

Geht es bei Investments nicht um die zukünftige Wertschöpfung? Natürlich ist der Preis relevant für die Rendite, aber die Qualität des Investments entscheidet doch darüber, ob überhaupt eine Rendite entsteht. Oder wo ist mein Denkfehler? Welche Werte wird eine Gesellschaft, die nach dem Prinzip des Billigsten entscheidet, hervorbringen?

Historisch betrachtet ist Fiatgeld zur Sicherung der Kaufkraft immer falsch. Fiat-Staatswährungen kennen nur einen Weg: nach unten. 1785 wurde der US-Dollar eingesetzt. Seit der Entkopplung des Dollars vom Gold am 15. August 1971 ist der sogenannte Petro-Dollars um über 80% gefallen. Mit 1200 Jahren ist der britische Pfund-Sterling die älteste im Umlauf befindende Währung. 1694 war das Pfund noch 12 Unzen Silber wert. Heute kostet eine Silberunze mehr als 17 Pfund. Dies bedeutet ein Verlust von 11,94 Silberunzen.

Ergo: als kurzfristiges Tauschmittel sind Fiat-Währungen funktional, außer während einer Hyperinflation. Zum langfristigen Erhalt der Kaufkraft sind sie jedoch ungeeignet. 

Somit vertagen mangelhafte Bewertungskriterien für Investments und Kaufentscheidungen eine regenerative Wende!

Warum sind die Zusammenhänge wichtig?
Um etwas Neues zu schaffen, muss man den Kontext des Alten bzw. die bisherige Praxis verstehen. Nur so kann man es stimmig integrieren. Die genaue Nachfrage zeigt, dass die bisherige Lösung nur durch gewissen Umstände zu Stande kam. Man muss die Bewertungskriterien verstehen! Wenn man diese nicht verstanden hat, sollte man mit Urteilen vorsichtig sein (vgl. VIP Vision in Design von Hekkert und van Dijk).

Wie soll das gehen? 
Indem wir unseren Produkten und Dienstleistungen sinnvolle und wertschöpfende Impulse für den Einzelnen, die Natur und Gesellschaft einpflanzen. Damit erlangen wir natürlichen materiellen, sozialen und geistigen Wohlstand zwangsläufig. Verstärkend wirkt hier, dass die menschliche Gier nach „Mehr“ wertschöpfend integriert ist. Damit ist die antifragile Anforderung an ein neues System erfüllt.

Einige starke Unternehmerpersönlichkeiten haben bereits faszinierende Prozesse etabliert. Allerdings sind es noch Unternehmensperlen, die man intensiv suchen muss.

Was fehlt noch für die breitere Umsetzung?
Für einen „balancierten“ Wohlstand müssen wir uns erlauben, anders hinzusehen, denn nur so können wir Neues lernen und Schiefstände korrigieren. Denn viele Ideen und Lösungen warten auf eine Menschheit mit einer bewussteren Wahrnehmung, die viele Gewinner erzeugt. Natürlich bin ich mir bewusst, dass Bewusstseins- und Verhaltensänderung lange dauern können. Allerdings habe ich schon „alte Wunden“ durch das Wunder der Regeneration wieder heilen gesehen. Die nächste Produktinnovation ist also die Wichtigste für eine attraktivere Zukunft.

Um ein Produkt bzw. Service zu bewerten, können uns transparent definierte Kriterien Orientierung geben. Außerdem reduzieren sie den Einfluss des unreflektierten Meinungskonsums. Das heutige praktizierte Medienmarketing basiert auf Behauptungen, Emotionen, wenig belastbaren Fakten und fehlender Transparenz. Damit sind wir umgeben von Kommentatoren und Influencern. 

Ohne ein Bewusstsein für Beeinflussung werden wir Medienkonsumenten erdrückt von der Informationsinflation. Die Gefahr: wir werden „müde“, lassen uns denken und werden abhängig von den Kommentatoren. Dies ist gefährlich, da wir uns unreflektiert den Werten und Zielen der Influencer aussetzen. Die begriffliche Nähe zur Ansteckungskrankheit Influenza (die Grippe) ist wohl nicht zufällig gewählt. Eine weitere Gefahr besteht, dass das Abenteuer des Lebens nur noch online erlebt wird.

Um den heutigen Anforderungen einer regenerativen Marktwirtschaft, die den Menschen, der Natur und der Gesellschaft dient, gerecht zu werden, benötigen wir neue Bewertungsmaßstäbe, welche auch die mittel- und langfristige Perspektive integriert und als Anwalt für diejenigen Eintritt, die keine Stimme haben. Selbst wenn das für den Moment utopisch klingt. Die Systemperspektive lehrt uns, dass dieser Ansatz die evolutionäre Intelligenz integriert und uns mittel- bis langfristig reichlich belohnt. Mein Beitrag zur Lösung ist die Entwicklung und Veröffentlichung eines Bewertungsmodells für den Impact eines Produkts bzw. Service für Regeneration und Prävention: Impact Product Model for Regeneration & Prevention. 

Dieses hilft dabei, Produkte und Services anders wahrzunehmen, indem es die Qualität eines Produkts anhand von 7 Bewertungskriterien auf einen Blick visualisiert. Dieses geistige Bauwerk spart Energie und schafft Ordnung. Mehr Details dazu im Beitrag „Woran erkennt man zukunftstaugliche Produkte?  Bewertungskriterien für regenerative Produkte und Services“.